Haushaltsrede 2024

von Christian Jansen (Stv. Fraktionssprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Stadt Rheine)
zum Beschluss des Haushalts- und Investitionsplanes 2024 – 2027 am 19.03.2024

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Peter Lüttmann,
sehr geehrte Ratskolleginnen und Ratskollegen,
sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung der Stadt Rheine,
sehr geehrte Vertreter der Presse,

es ist ein oft beobachtetes Phänomen, dass wir Menschen erst spät, manchmal auch zu spät auf Veränderungen reagieren und unsere Strategien und Verhaltensweisen anpassen.

Ich denke in diesem Zusammenhang immer an ein Zitat, welches Kaiser Wilhelm dem Zweiten zugeschrieben wird: „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Eine von vielen Fehleinschätzung unseres letzten Monarchen. Andere seiner Fehleinschätzungen hatten jedoch leider weitaus gravierendere Folgen!

Näher an unserer Zeit hatte bereits der Club of Rome im Jahr 1972 die Grenzen des Wachstums aufgezeigt. Über 50 Jahre später ist diesbezüglich jedoch wenig passiert, auch wenn seine Grundannahmen im Laufe der Jahre immer wieder wissenschaftlich bestätigt wurden (siehe beispielweise Bericht des SWR vom 21.02.2022).

Überträgt man das oben beschriebene Phänomen auf unsere Zeit, so lassen sich auch heute viele Beispiele finden.

Erst vor ein paar Wochen, nämlich am 08.02.2024 berichtet die Tagesschau online, dass die globale Durchschnittstemperatur über 12 Monate um mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter gelegen hat. Damit ist das im Jahr 2015 auf der Pariser Klimakonferenz beschlossene Ziel, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, gescheitert. Ein Beweis dafür, dass wir zu spät reagiert haben.

Denkt man weiter an den Ukraine-Krieg, der genau genommen vor mehr als zehn Jahren Ende
Februar 2014 mit der Annektierung der Halbinsel Krim begonnen hat, ist eine wirkliche Reaktion auf die geänderte geopolitische Lage erst 8 Jahre später erfolgt. Und auch diese Reaktion schützt die ukrainische Bevölkerung und uns meines Erachtens noch nicht ausreichend genug vor den noch weiteren möglichen Folgen der russischen Aggression.

Schaut man auf Deutschland und direkt nach Rheine, so wollen wir alle hoffen, dass das so wichtige bürgerschaftliche Engagement gegen die demokratiefeindlichen Bestrebungen von AfD & Co. früh genug erfolgt ist und auch weiterhin bestehen bleibt. Ich möchte hier später hoffentlich sagen können, dass wir spät, aber nicht zu spät reagiert haben.

Auch bezogen auf unsere aktuelle Haushaltsituation lassen sich Parallelen feststellen:

Von Bund, Land, aber auch von der Stadtverwaltung und den politisch Verantwortlichen wurde lange Jahre die finanzielle Leistungsfähigkeit von Kommunen bzw. unserer Kommune überschätzt. Das Ergebnis dieser gemeinsamen Fehleinschätzung haben wir nicht erst mit der Haushaltseinbringung durch unseren Bürgermeister Dr. Peter Lüttmann und unserem Stadtkämmerer Mathias Krümpel präsentiert bekommen.

Sichtbar war diese Entwicklung schon einige Jahren, wie das folgende Schaubild zeigt:

Stand: September 2023, Vergleich Ordentliche Erträge zu Ordentlichen Aufwendungen von 2018 bis
2023 (Plan)

Hier sehen wir die Höhe der ordentlichen Erträge der Stadt Rheine im Vergleich zu den ordentlichen Aufwendungen der Jahre 2018 bis 2023 (Plan). Seit Jahren nehmen wir als Stadt also weniger ein als dass wir ausgeben!

Jetzt fragt sich jeder natürlich sofort: Wie konnten in den Jahren 2019 bis 2022 immer positive Haushaltsabschlüsse gezeigt werden? Diese konnten gezeigt werden, weil in den betreffenden Jahren immer außerordentliche Erträge in den Jahresergebnissen ausgewiesen werden konnten, zum Beispiel durch Grundstückverkäufe.

Der vom Stadtkämmerer eher obligatorische Hinweis darauf, dass wieder ein nicht strukturell ausgeglichener Haushalt geplant werde, verhallte. Die Verwaltung streute den Ratsmitgliedern Sand in die Augen mit den im Jahresabschluss immer positiveren Ergebnissen als ursprünglich im Haushaltsplan ausgewiesen. Wir haben darauf schon beim ersten Haushalt dieser Legislatur hingewiesen, wurden aber nicht ernst genommen. Die Kritik ging in der Euphorie der positiven Gesamtergebnisse unter.

Doch im September 2023 bei der Einbringung des Haushaltes durch unseren Bürgermeister und Stadtkämmerer änderte sich die Stimmung. Schuldige für die plötzliche Misere waren schnell gefunden, beispielsweise:

  • Der Bund und das Land wegen der Finanzierung von Kinderbetreuungsangeboten (OGS, KiTa) – deren Elternbeiträge nebenbei bemerkt im Vergleich zu anderen Städten für unsere Eltern in Rheine nicht gerade gering ausfallen –
  • Die Tarifparteien, da diese die gerade in Inflationszeiten berechtigten Gehaltssteigerung der Beschäftigten der Stadtverwaltung kollektiv verhandelt haben. Eher scherzhaft würden wir mal hierzu gerne wissen, was im Rathaus los wäre, wenn diese Gehaltssteigerungen durch jeden Beschäftigten im Rathaus individuell ausgehandelt werden könnten.
  • Der Kreis Steinfurt, der wie die Stadt Rheine öffentliche Aufgaben zu finanzieren hat. Hier hätten wir als Grüne gerne gewusst, wie sich die Kreisumlage im prozentualen Verhältnis in den letzten Jahren verändert hat? Eine überproportionale Steigerung könnte hier berechtigte Fragen aufwerfen – bleibt der Prozentsatz jedoch in etwa gleich, ist die Anprangerung von Kostensteigerungen nur wildes Getöse!
  • Was jedoch in dem Reigen der Schuldigen die Lehrstühle für Geschlechterforschung in Deutschland zu suchen hatten, kann uns nur unser Kämmerer erklären. Ein populistischer Erklärungsversuch von ihm, der unserer Meinung nach in die Mottenkiste gehört.

Nun zur Ernsthaftigkeit zurück.

Was uns damals in der Haushaltseinbringung bei aller, in Teilen auch berechtigter, Kritik an der fehlenden Konnexität zwischen Aufgaben- und Finanzverantwortung gefehlt hat, war die Eigenkritik!

Hinweis: Fehlende Konnexität bedeutet das (teilweise) Auseinanderfallen einer Entscheidung und der Finanzierung dieser Entscheidung. Eine staatliche Instanz, z.B. der Bund, entscheidet über eine öffentliche Aufgabe und andere staatliche Instanzen, z.B. das Bundesland oder die Kommune bekommen im Nachgang die (Teil-) Finanzierung ohne eine entsprechende Gegenfinanzierung aufgebürdet.

Sowohl in der Verwaltung als auch in der Politik!

Ende September 2023 wurde von unserem Bürgermeister und der Verwaltung versucht mit der Einbringung des Vorschlages einer massiven Steuererhöhung für BürgerInnen und Gewerbetreibende die drohende Haushaltsmisere (sprich Haushaltssicherung) zu vermeiden.

Ein Schritt, schaut man zurück auf das Schaubild des strukturell seit Jahren nicht ausgeglichenen Haushaltes, der unausweichlich erschien. Doch sollte man tunlichst vermeiden, die Steuern in Zeiten einer schwächelnden Wirtschaftsentwicklung mit zuletzt hoher Inflation zu erhöhen!

Das sehen wir als Grüne im Rat der Stadt Rheine auch so!

Mit der seinerzeit durch die Verwaltung vorgeschlagene Steuererhöhung sollte die folgende Entwicklung erreicht werden:

Stand: September 2023, Vergleich Ordentliche Erträge zu Ordentlichen Aufwendungen von 2023 (Plan) bis 2027 (Plan).

Hier sehen wir die geplante Höhe der ordentlichen Erträge der Stadt Rheine im Vergleich zu den ordentlichen Aufwendungen der Jahre 2023 bis 2027 (Plan). Eine Entwicklung, die grundsätzlich anzustreben wäre, um einem strukturell ausgeglichenen Haushalt näher zu kommen und damit langfristig handlungsfähig zu bleiben!

Doch wie passen diese beiden Aussagen von uns als Grüne zusammen? Keine Steuererhöhungen und doch Steuererhöhungen?

Der Zeitpunkt macht es unserer Meinung nach aus! Wäre früher, also schon im Jahr 2019/2020 auf die schon damals bekannte und sich fortschreitende Haushaltsituation mit einer moderaten Steuerentwicklung und einer besser gesteuerten Finanz- und Ausgabenpolitik (natürlich nur da, wo wir auch Einfluss haben) reagiert worden, dann hätten wir heute mehr Optionen. Wir hatten dies bereits letztes Jahr, zusammen mit der SPD, versucht.

Stattdessen wurden keine substanziellen Anpassungen an der Einnahmeseite vorgenommen, aber die Aufwendungen und Investitionen massiv gesteigert. Viele schon in der letzten Legislatur. Dies zeigt sich schwarz auf weiß an immer weiter steigenden Aufwendungen für bilanzielle Abschreibungen, für Zinsen und Finanzaufwendungen, aber auch für Sach- und Dienstleistungskosten. Die Kreditaufnahmen werden in schwindelerregende Höhen steigen – das Eigenkapital unserer Stadt schmilzt dahin.

Stand: September 2023, Planung der Kreditentwicklung der Kernverwaltung der Stadt Rheine

Heute kann der Rat der Stadt Rheine mit Ach und Krach den Haushalt beschließen und eine Steuererhöhung für das Haushaltjahr 2024 und sehr wahrscheinlich für das Jahr 2025 vermeiden – jedoch nur mit einigen haushälterischen Tricks, einigen Einsparungen, dem Glück, dass Umlagen nicht so hoch ausfallen – und der Hoffnung, dass es in der Zukunft wohl besser werden wird. Doch schauen wir dort – in die Zukunft – genau hin, nämlich auf die vom Kämmerer projizierten Haushaltzahlen für die nächsten Jahre, so sieht es ziemlich düster aus.

Aktuelle Mittelfristplanung der Stadtverwaltung vom 06.03.2024 (Schaubild)

Stand: März 2024, Vergleich Ordentliche Erträge zu Ordentlichen Aufwendungen von 2023 bis 2027 (Plan) mit geplanten Steuererhöhungen ab dem Jahr 2026.

Es erwarten – und so wurde es bereits von Seiten des Kämmerers in der letzten Sitzung des Haupt-, Digital und Finanzausschusses angekündigt die Bürgerinnen und Bürger und die Gewerbetreibenden in Rheine massive Steuererhöhungen spätestens ab dem Jahr 2026! Also nach der nächsten Kommunalwahl! Trotz alledem bleibt die Schere zwischen Aufwendungen und Erträgen weit geöffnet!

In zukünftigen Haushalten werden daher für wichtige Zukunftsvorhaben wie den lokalen Klima- und Artenschutz, die Förderung nachhaltigen Wirtschaftens vor Ort oder der Sanierung und dem Ausbau von Betreuungsangeboten für Kinder und Jugendliche wenig Raum gelassen.

Eine solide, zukunftsgerichtete und ehrliche Haushaltspolitik sieht unserer Meinung nach anders aus! Aber was sollen wir tun?

Unserer Auffassung nach müssen sich selbstverständlich auch die Zuweisungen von Bund und Land erhöhen. Es muss immer gelten, dass der bezahlt, der auch bestellt! Aber auch wir als Rat und die Stadtverwaltung der Stadt Rheine müssen mehr Verantwortung für die durch uns beeinflussbaren Kosten und Einnahmen übernehmen! Jede Aufwendung muss auf den Prüfstand gestellt werden! Und dies fortwährend und nicht immer mit heißer Nadel gestrickt, kurz vor dem nächsten Haushaltsbeschluss! Das, was sozial, wirtschaftlich, umwelt- und klimapolitisch, kulturell und gesellschaftlich für uns alle notwendig ist, muss bleiben! Was wir nicht brauchen sind Doppelstrukturen, nicht effektive oder effiziente Prozesse, Abläufe und Organisationen. Hier müssen wir offen und ehrlich prüfen und uns verändern und verbessern!

Wir haben hierzu in der Vergangenheit Vorschläge gemacht. Beispielsweise bei den Hilfen zur Erziehung oder bei der Parkraumbewirtschaftung. Die Reaktionen vom Bürgermeister, der Verwaltungsspitze und der Mehrheitsfraktion – eher verhalten und abwartend. Auch welche Investitionen wir uns wann leisten können, muss realistischer von der Verwaltung geplant und ehrlich und transparent an die beschließenden Fraktionen kommuniziert werden. Wer Projekte, wie beispielsweise die Dorfentwicklungspläne, anschiebt und beschließt, muss auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern vertreten (können), dass diese auch in absehbarer Zeit realisiert werden. Alles andere ist Augenwischerei!

Und auch an die Einnahmeseite müssen wir ran! Hier wäre früher besser gewesen! Doch müssen wir unserer Meinung nach spätestens mit dem Aufhellen der Konjunktur und dem Nachlassen der Inflation tätig werden – außer es erreicht uns ein nachhaltiger Geldsegen von anderer Seite!

Unsere Meinung ist ganz klar! Wenn sich nicht über Wachstum oder Zuweisungen die Einnahmen verbessern lassen, müssen wir zukünftig frühzeitig und in kleinen Schritten die Einnahmensituation unserer Stadt durch Steueranpassungen verbessern. Dies wäre ehrlicher, nachhaltiger und für alle Betroffenen besser verkraftbar als plötzlich mit massiven Steuererhöhungen zu schockieren!

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ sagte einst Michail Gorbatschow.

Heruntergebrochen auf uns hier in Rheine sollte dies bedeuten:

Wir haben schon sehr lange gewartet, die notwendigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, umwelt- und klimapolitischen Veränderungen hier vor Ort ausreichend umzusetzen. Es gibt Bewegung, diese muss aber aufgrund der radikalen Veränderungen in unserer Umwelt massiv beschleunigt werden. Es wird uns immer mehr kosten, je länger wir warten!

In vergangenen und im aktuellen Haushalt unserer Stadt wurden viele Chancen nicht ergriffen und viele absehbare Risiken geschaffen, die sich in ihrer Deutlichkeit für unsere Bürgerinnen und Bürger jedoch erst spät gezeigt haben!

Aus diesem Grund lehnen wir den Haushalt für das Jahr 2024 als Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ab!

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