Kein Bedarf an verbesserter Gleichstellung?

Als am vergangenen Dienstag unter Punkt 40 von 58 Tagesordnungspunkten der gemeinsame Antrag von Bündnis90/Die Grünen und der Linken im mit Ratskompetenz tagenden Hauptausschuss für Digitales und Finanzen aufgerufen wurde, hatten die Antragstellerinnen noch damit gerechnet, in eine konstruktive Debatte um die Ausgestaltung der beantragten Gleichstellungskommission eintreten zu können. Dazu sollte es aber gar nicht erst kommen, denn die Einlassungen des CDU-Fraktionsvorsitzenden André Hachmann und von Dominik Bems von der SPD machten allzu deutlich, dass die beiden Herren eine ausführliche Befassung mit den Inhalten des Antrages weder wünschten noch für notwendig erachteten. Schweigend teilten die Fraktionsvorsitzenden der FDP und BfR  diese Auffassung.

Die Vorlage der Verwaltung lehnte die Einrichtung einer Gleichstellungskommission ab, hatte sich aber doch dazu durchgerungen, sofern die Politik es denn wünsche, einen Arbeitskreis Gender Mainstreaming einzurichten, der sich mit Schwerpunktthemen im Aufgabenfeld „Gleichstellung von Mann und Frau“ befassen könne. Die Ablehnung einer Gleichstellungskommission fußt unter anderem darauf, dass die Verwaltung eine latente Gefahr darin sieht, die im Antrag von Bündnis90/Die Grünen und der Linken formulierten Kompetenzen könnten eine Vermischung von Politikfeld und Verwaltungshandeln entstehen lassen. So ein Arbeitskreis wird dann auch von der Verwaltung gesteuert, statt von der Politik. Gleichwohl griff die Verwaltung jedoch gerne den Antrag von der Grünen auf, indem eine bessere Ausstattung der bisherigen Gleichstellungsstelle, sowohl mit Personalanteilen, wie mit Sach- und Dienstleistungen gefordert wurde.

Silke Friedrich, Sprecherin der Grünen Fraktion, und Annette Floyd-Wenke, Sprecherin der Linken, sind sich einig: Die Ignoranz, mit der hier über strukturelle gesellschaftliche Probleme hinweggegangen wurde, ist für aufgeklärte Geister kaum zu ertragen. Europaweit haben sich durch die Corona Krise die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern wieder deutlich verstärkt: Wir erleben gerade, was Geschlechterrollen betrifft, eine Rolle rückwärts in die 50er Jahre. Wir wissen aber, dass insbesondere häusliche Gewalt gegen Frauen und die Tötung von Frauen nach Trennungen eine wichtige Ursache in eben diesen so starren wie überholten Geschlechterrollen hat. Auch hat Corona deutlich gemacht, dass viele der systemrelevanten Berufe überwiegend von Frauen ausgeübt werden – während sie gleichzeitig neben ihrem Job den Löwenanteil an der Kinderbetreuung, dem Homeschooling und der Pflege von Angehörigen übernehmen.

Wenn man Andree Hachmann und Detlef Brunsch ernst nimmt, gelten die Worte von Kanzlerin Merkel in Rheine noch immer nicht: „Es kann nicht sein, dass Frauen die Gesellschaft maßgeblich tragen, gleichzeitig aber nicht gleichberechtigt an wichtigen Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beteiligt sind.“ Dabei erleben wir vor Ort schon in „normalen“ Zeiten, dass gerade junge Frauen, die den Spagat zwischen Arbeit und Familie hinbekommen, dann aber keine Zeit mehr haben, sich auch noch politisch zu engagieren. Aber auch daran glaubt die Ratsmehrheit, unterstützt von den sie tragenden gesellschaftlichen Gruppen, wohl nichts ändern zu müssen. Dieselbe CDU/FDP-Mehrheit hat aber auch den Vorschlag der Verwaltung zur Einrichtung eines Arbeitskreises mit weit weniger Kompetenzen abgelehnt. Warum? Die Erklärung ist ebenso simpel, wie eindeutig: Das „Thema“ Gleichstellung könne ja im Hauptausschuss für Digitales und Finanzen beraten werden, womit sich dann auch eine bessere Ausstattung (€12.000 und 0,32 Stellenanteile) erledigt hätte.

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