Haushaltsrede 2023

Rede zum Haushalt 2023-2026

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

sehr geehrte Mitglieder des Verwaltungsvorstands,

liebe Ratskolleg:innen,

sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst möchte ich mich für meine Fraktion beim Kämmerer und seinem Team bedanken – für die Aufstellung des Haushaltes, die Begleitung unserer Fraktion bei der Haushaltsplanberatung und die Geduld bis zu den letzten Entscheidungen erst im HDF kurz vor Weihnachten.

Im Haushaltsplan (S. 43) finden wir eine wichtige Leitlinie für nachhaltiges Handeln:           „Ein wesentliches Ziel der Haushaltswirtschaft ist die intergenerative Gerechtigkeit“.            Aus GRÜNER Sicht fehlt hier die andere Gerechtigkeitsdimension nachhaltigen Handelns, nämlich die intragenerative. Doch schon bei der ersten Frage – nämlich der: „Wie bewahren wir die Freiheit der uns folgenden Generationen, ihr Leben zu gestalten?“ – klafft eine Lücke zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung.

Aleida Assmann formuliert in ihrer Analyse „Ist die Zeit ist aus den Fugen?“, dass „Zukunft per se (…) heute nicht mehr die Kraft (hat), eine beständige Verbesserung der Lebensverhältnisse zu verheißen“. Was heißt das für das Lebensgefühl der jungen Generation? Heute bezeichnen sich junge Menschen als „Letzte Generation“, und das drückt, ganz egal, wie wir über deren unterschiedliche Protestformen diskutieren – ihre Resignation darüber aus, dass „die Politik“, aufgefächert in Parlamente, Regierungen und Verwaltungen, zu wenig tut.

Auch Lützerath zeigt die Kluft zwischen denen, die die Zukunft eher hinter sich, und denen, die sie noch vor sich haben. Luisa Neubauer bewertet dementsprechend den „kleinen“ Lützerath-Kompromiss zur Braunkohleverstromung als faulen Kompromiss und stellt dagegen den „großen“ Kompromiss des Pariser UN-Klimaabkommens. Hier steht „regional“ gegen „universal“, hier stehen Profit-Interessen gegen Überlebens-Interessen, hier stehen kurzfristig 15.000 Arbeitsplätze im Rheinland gegen mittelfristige Lebensräume von Millionen Menschen an ungesicherten Meeresküsten. Da müssen wir uns schon fragen lassen, ob wir auf dem richtigen Weg sind.

Die Corona-Pandemie und Russlands verbrecherischer Überfall auf die Ukraine haben nur scheinbar die bedrohlichen Entwicklungen durch die Klimakrise überdeckt – und obendrein die Krise unserer Demokratie auch noch angefacht. Wir sind also weiterhin im Krisenmodus und ein Ende ist nicht absehbar.

Die unmittelbaren Auswirkungen treffen die Bürger:innen vor Ort und stellen auch Rat und Verwaltung immer wieder vor zusätzliche Herausforderungen: Unterbringung zusätzlicher Geflüchteter, notwendige Energieeinsparungen, mehr Anträge für Wohngeld – um nur einige zu nennen – Herausforderungen, die Rat und Verwaltung nicht alleine zu schultern haben, die nur gemeinsam, im Zusammenspiel zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung bewältigt werden können.

Ein starkes Gemeinwesen ist elementar auf Eigeninitiative, Mithilfe und Engagement der Zivilgesellschaft angewiesen. Wir GRÜNE sind überzeugt, dass gerade unsere demokratischen Gesellschaften in der Lage sind, diese Krisen im Schulterschluss erfolgreich zu meistern. Die private Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten, die Organisation von Sprachkursen, von Fahrrädern und anderen Hilfen durch Vereine und Verbände und nicht zuletzt die umfangreichen Hilfslieferungen in die Ukraine durch zivilgesellschaftliche Initiativen – wie das Netzwerk Maidan – sind ein eindrückliches Beispiel dafür.

Das Vertrauen in die Fähigkeit, gemeinsam Wandel zu gestalten, geht aber einher mit der Skepsis, dass es uns hier in Rheine nur schwer gelingt, die Beteiligung und Aktivierung der Bürger:innen als wichtige Ressource zu organisieren. Hier nur einige Schlaglichter:

Zu Beginn der Legislatur haben wir GRÜNE einen Antrag zur Überprüfung der Sicherheit auf Schulwegen gestellt. Laut Herrn Gausmann im Schulausschuss im September 2022 soll nun im Frühjahr 2023 eine Arbeitsgruppe dazu eingerichtet werden. In der Zwischenzeit hat sich im Stadtteilbeirat Gellendorf/Südesch, ein betroffener Vater engagiert: Der Schulweg aus der Gartenstadt Gellendorf hin zur Konradschule ist ein Angstraum. Die Arbeit im Stadtteilbeirat hat nicht zum Ergebnis geführt. Jetzt gibt es eine Petition, und der engagierte Vater fühlt sich nach einem Gespräch mit Bürgermeister Lüttmann von der Verwaltung abgewatscht.

Schon in der KUBA-Frage hatte sich der Stadtteilbeirat Schotthock nicht ausreichend berücksichtigt gefühlt, aktuell hat er eine Absage von der Verwaltung zum Thema ISEK bekommen. Die Stadtverwaltung schreibt: „Informationen zum Maßnahmenkatalog können wir zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht geben…“ und zum Abschluss: „In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es auch zukünftig aus strukturellen und organisatorischen Gründen schwierig sein wird, den Austausch über anstehende Projekte im Stadtteil vor Ort mit Ihnen zu führen.“ Der Stadtteilbeirat ist – in unseren Augen völlig zu Recht – mehr als nur enttäuscht.

Ist das die Form von Zusammenarbeit, die wir insbesondere mit den Stadtteilbeiräten wollten? Die Arbeitsgruppe, die seit Dezember 2021 Leitlinien zur Bürgerbeteiligung erarbeiten soll, kann da jedenfalls keine Antwort geben, denn noch immer gibt es keine Ergebnisse. Und die Anfrage, ob wir als GRÜNE nicht Geld für einen exemplarischen Beteiligungsprozess für den Haushalt beantragen sollten, wurde uns aus der Verwaltung negativ beantwortet.  Soweit seien wir für dieses Jahr noch nicht – und wir fragen uns verdutzt: Wer ist hier „wir“?

Ent-täuschung gibt es auch in der GRÜNEN Fraktion über die Zusammenarbeit zwischen Politik und Verwaltung. Ich erinnere an die Farce um die 50km-Zone an der Salzbergener Straße, vor allem aber an den Kampf um die Abwendung der Aufforstung des Schürkamps in Bentlage. Der Kämmerer meinte eine „billige Lösung“ gefunden zu haben, kurzfristig ca. 20.000 qm Aufforstungsfläche zu erhalten. Obwohl nach dem unglücklichen, weil völlig unzureichend vorbereiteten Ratsbeschluss alle Fraktionen intervenierten, wurden unbeirrt weiter Fakten geschaffen. Alle Hintergrundgespräche blieben vergeblich; alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Eine überprüfbare Abwägung der unterschiedlichen Interessen und Belange erfolgte an keiner Stelle; eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gegenpositionen wurde unterlassen. Die vom Rat letztlich einstimmig gebilligte Lösung musste mit großem Aufwand gegen den Willen der Stadtverwaltung hinter den Kulissen durch einflussreiche wohlgesinnte Bentlage-Freunde erarbeitet und angebahnt werden – doch bis heute besteht der Dissens über die Bewertung dieser Lösung fort. Deswegen gilt an dieser Stelle unser besonderer Dank nochmals den anderen Fraktionen für die einmütige konstruktive Zusammenarbeit.

Insgesamt sind die kollegiale Zusammenarbeit und der offene Dialog zwischen den Fraktionen für uns GRÜNE Grund und Anlass, für das gemeinsam Erreichte Danke zu sagen.

Angesichts des Haushaltes, der zukünftig zu massiven Einsparungen zwingen wird, haben wir jedoch wichtige Kritikpunkte:

Noch in der letzten Legislatur sind zwei Projekte umgesetzt worden, frei nach dem Motto „Da gibt es Fördertöpfe, die Investition ist gesichert.“ Die Folgekosten für die Jugendkunstschule und für die Mitte 51 waren nicht gesichert, bei letzterer wird erst jetzt über ein Trägerkonzept verhandelt. Schon in der letzten Haushaltsrede forderte die CDU, nun fordert auch der Bürgermeister „Aufgabenkritik!“, um den Haushalt zu konsolidieren.

Wir brauchen nicht nur – wie im Notprogramm Klimaschutz vorgeschlagen – eine „Erarbeitung einer Leitlinie für Wirtschaftlichkeitsberechnungen im Sinne einer Lebenszykluskosten-Betrachtung unter Berücksichtigung der CO2-Kosten, sondern auch eine konsequente Betrachtung der Folgekosten. Vielleicht sensibilisiert das den Rat, künftig weniger leichtfertig Fördermittel in Anspruch zu nehmen.

Wir kritisieren vor allem eine fehlende strategische Ausrichtung auf Nachhaltigkeit und fragen, warum CDU und FDP gerade bei diesem Thema immer wieder Nebelkerzen zünden: 

Zur Kommunalwahl und im Koalitionsvertrag haben uns CDU und FDP ein klimaneutrales Rheine 2030 versprochen. Darauf wird noch zurückzukommen sein.

Im Mai vor der Bundestagwahl 2021 stellen CDU und FDP den Antrag „Nachhaltige Kommune“ und fordern eine Status-Quo-Analyse zur Vorbereitung eines Nachhaltigkeitsberichtes der Stadt und, darauf aufbauend, die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie. Bisher ist da noch nichts passiert.

Vor der Landtagswahl 2022 hat die Steuerungsgruppe der Fair-Trade-Town-Initiative die Integration ökologischer und sozialer Kriterien in die Beschaffungsstrategie der Stadt angeregt; ein fraktionsübergreifender Antrag ist unter Federführung der CDU-Fraktion formuliert worden. Die FDP wollte ihn dann nicht mittragen – und die CDU verschleppt bis heute die Entscheidung.

Wichtige Ziele werden nicht konkretisiert, definierte transparente Entscheidungskriterien fehlen. Wie sollen politische Mehrheitsentscheidungen dann überprüfbar bzw. nachvollziehbar sein?

Das gilt für die Jugendhilfe.

18 Mio. € geben wir jährlich für Erzieherische Hilfen aus, ein hohes Budget für einen sensiblen Bereich, in dem es um das Wohl vieler Kinder geht. Gerade hier müssen wir schauen, dass wir das Geld zielgerichtet ausgeben. Nicht erst seit dem GPA-Bericht schauen wir GRÜNE kritisch auf Strukturen und Kosten von Hilfeleistungen in unterschiedlichen Bereichen. Denn wenn es gilt, Aufgabenkritik zu üben, kann es nicht sein, dass die Finanzierung der freiwilligen Aufgaben gekürzt oder gestrichen wird, im Bereich der Pflichtaufgaben aber noch immer nicht hinreichend Rechenschaft über die Kosten abgelegt wird.

Bei den in Rheine überdurchschnittlichen Kosten für Maßnahmen der erzieherischen Hilfen fehlt der Politik nicht nur die Transparenz in Gelddingen, sondern ebenfalls der Überblick über die Erfolge und Misserfolge konkreter Maßnahmen.

Dass das – trotz schon seit Jahren immer wieder formulierter Kritik über die Intransparenz im Jugendamt – bisher vom Jugendhilfeausschuss so vernachlässigt wurde, macht uns mehr als nur ratlos. Uns kommt das immer wieder vor wie ein Kartell der Sozialverbände, die sich den Markt unter Federführung der Caritas und in Absprache mit der Sozialverwaltung aufgeteilt haben. Daher bedarf es gerade bei den Erzieherischen Hilfen hier in Rheine zwingend eines transparenten Fachcontrollings – auch um den Verdacht eines Kartells zu widerlegen. Hierfür ist eine externe Expertise erforderlich, die Wirkungszusammenhänge und Ergebnisqualitäten analysiert und bewertet.

Das gilt für den Klimaschutz.

Die Klimakrise und das Überschreiten weiterer Planetarer Grenzen erfordern weitreichende Veränderungen – wie einen ökologischen Stadtumbau. Eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit setzt aber das Verlassen tief eingefahrener Spurrillen voraus. Das mag unbequem sein und besondere Kraft und besonderen Mut erfordern, ist aber umso unerlässlicher.

Im Fokus muss der Klimaschutz stehen. Dabei ist, um Carolin Emcke zu zitieren, „Zeit die ultimative Währung der Klimakrise. Verlorene, ignorante, vergeudete Zeit bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen lässt sich nicht mehr einholen.“ Sie spricht von „Restlaufzeit“, die wir nur noch haben (SZ 17./18.12.2922). Aus GRÜNER Perspektive gilt das aber nicht nur für das Klima, das gilt auch für den sozialen Zusammenhalt und für die Zustimmung zu unserer Demokratie. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.

Im Oktober 2021 haben wir GRÜNEN beantragt, unsere Klimaschutzziele neu festzulegen. Der Kreis Steinfurt hatte seine Hausaufgaben da schon gemacht. Bis heute hat Rheine keine aktuelle verbindliche Zielsetzung. Statt einer Fortschreibung des „Masterplans 100 % Klimaschutz“ haben wir aktuell nur einen Vorschlag der Verwaltung für ein Sofortprogramm 2023. Dieses „Notprogramm“ hätte einen Wiedereinstieg in forcierten Klimaschutz ermöglichen können. 

Im StUK am 14. Dezember 2022 war eine Diskussion der Maßnahmen aber nicht möglich. Weder die Verwaltung noch der Ausschussvorsitzende hatten sich Gedanken gemacht, wie die umfangreiche Liste abgearbeitet werden könne. Mit Rainer Ortels Einwurf, ob man wirklich alle Maßnahmen durchgehen wolle, dann säße man noch bis Mitternacht zusammen, wurde die notwendige Diskussion abgebrochen wieder vertagt. Dabei ist Zeit doch die ultimative Währung der Klimakrise. Und – nochmals Carolin Emcke, „ökologische Grenzen für Ignoranz sind die Kipp-Punkte.“ Rheine kalkuliert schon heute ein, dass das 1,5 °-Ziel nicht mehr erreicht werden kann, und gibt für sich das minder anspruchsvolle 1,75°-Ziel vor.

Im hier vorgelegten Haushalt sind nur unzureichend Personal- und Finanzmittel für einem ambitionierten Einstieg in ein neues Maßnahmenprogramm hinterlegt: Von knapp 7 von der Verwaltung benannten Stellen im Rathaus und bei der EWG wollte die Verwaltung 2,5 durch neue Prioritäten im Arbeitsplan abdecken. Von den 4,5 weiteren Stellen hat sie gerade mal eine in den Stellenplan eingebracht. Die von uns beantragte vorsichtige Aufstockung um eine weitere halbe Stelle für das „Notprogramm Klimaschutz“ wurde von den Mehrheitfraktionen abgelehnt. Dabei fehlen auch in der Auflistung der Verwaltung Stellen für die notwendige Umsetzung von Photovoltaik-Projekten auf städtischen Immobilien und erst recht für solche Themen wie die Umsetzung der kommunalen Wärmewende.

Knapp 85 Mio. € investieren wir in diesem Jahr in Baumaßnahmen. Dass wir nur noch in Technologie für erneuerbare Energien investieren, ist dabei noch nicht selbstverständlich, denn unser Rathaus, dieses Jahr mit 15 Mio. € im Haushaltplan, bekommt eine Gasheizung.

Für das „Notprogramm Klimaschutz“ stellt die Politik, neben im Haushalt schon verankerten Maßnahmen, gerade mal 250.000 € zur Verfügung. Und das, ohne dass bisher eine Entscheidung gefallen ist, welche Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Wir können nur an den Ausschussvorsitzeden des StUK appellieren, die Diskussion um die Maßnahmen, schleunigst nachzuholen.

Fazit

Wir GRÜNE haben die Beratungen konstruktiv begleitet, die Abwägungen, insbesondere zum Stellenplan, intensiv diskutiert und auch einzelne Änderungen durchsetzen können.

Trotzdem können wir diesem Haushalt nicht zustimmen:

Insgesamt sind Investitionen über 100.000.000 € geplant.

Der Gesamtbetrag der Verpflichtungsermächtigungen, der zur Leistung von Investitionsauszahlungen in künftigen Jahren erforderlich ist, wird auf 123.445.000 € festgesetzt.

Der Gesamtbetrag der Kredite, deren Aufnahme für Investitionen erforderlich ist, wird auf 99.380.000 € festgesetzt.

Hinzu kommen die isolierten Krisenkosten, voraussichtlich 34.151.900,00 € bis 2025.

Das alles sind Kosten, die nicht wir, sondern nächste Generationen werden stemmen müssen.

Es ist ein Haushalt,

der nicht auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist und Klimaschutz weiterhin nur halbherzig finanziert,

der die Organisation neuer Beteiligungsformen nicht berücksichtigt

und der nach wie vor geprägt ist von den Entscheidungen zu Investitionen, die wir als GRÜNE-Fraktion in dieser Legislaturperiode nicht mitgetragen haben;

Es ist ein Haushalt, der auf lange Zeit jeden personellen und finanziellen Spielraum für alternative Zukunftsgestaltung nimmt und ein „wesentliches Ziel der Haushaltswirtschaft, nämlich die intergenerative Gerechtigkeit“, nicht erreicht.

Silke Friedrich                        
Fraktionssprecherin                             

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