Wie sich ein hypnotisiertes Kaninchen anhört

Ein Leserbrief von Werner Friedrich, den die Münsterländische Volkszeitung dann lieber doch nicht abdrucken wollte:

Wer als politisch interessierter Mensch durch erbauliche Tucholsky-Lektüre gelernt hat, wie brillant ein argumentativ-stringent und journalistisch-verantwortlich verfasster Kommentar aussehen kann, der muss schier verzweifeln über einen solch schlichten „Versuch“, wie Paul Nienhaus ihn letzten Samstag in Sachen Rathauserweiterung wieder einmal herausgehauen hat. Wie sich „ein hypnotisiertes Kaninchen anhört“, mag bei ihm ja erfragen, wer so etwas gerne wissen möchte – geschenkt! Wer aber in einem Kommentar seiner Tageszeitung eine kritische Auseinandersetzung mit den berechtigten Fragen zu sachgerechter Vorbereitung, zu angemessenem Planungsablauf, zu berechenbarem Finanzierungskonzept und zu verantwortungsbewusster Beschlussfassung des für Rheine größten kommunalen Bauprojektes aller Zeiten erwartet hatte, der fand sich bedauerlicherweise mit einem sträflich „dünnen“ dritten Aufguss wiedergekäuter Verwaltungsmeinung abgespeist. Das Recht auf freie Äußerung von Meinungen, so falsch oder unbedarft sie auch sein mögen, ist von unserem Grundgesetz sicher nicht gedacht als Freibrief für Kommentatoren, sich tiefschürfende Vorbereitung, sauberes Analysieren, redliches Abwägen und korrektes Überprüfen einfach zu schenken.

Da sind so viele Fragen offen geblieben – Welche Raumersparnis erwartet die Verwaltung beispielsweise durch weitgehende Digitalisierung Ihrer Dienste, und wie schlägt sich die in der Raumplanung für das neue Rathaus nieder? –, dass man sich des unguten Gefühls nicht erwehren kann, da habe wohl der Kommentator seine Hausaufgaben nicht gemacht.

Der neue Rat ist noch keine 100 Tage in der Verantwortung. Wenn dann mehrere „Neue“ die Tragweite der von Ihnen – auch noch in einer kurzfristig anberaumten Sondersitzung – erwarteten Entscheidung für zu groß halten, dann ist das so redlich wie honorig; wenn dann aber Paul Nienhaus meint, ein solch ehrliches Bekenntnis – auch noch mit dem Verweis auf den alten Rat – als unredlich abwatschen zu können, dann ist das so unredlich wie beschämend.

Wenn einer angesichts des ohnehin nicht zu haltenden Kostendeckels von 65 Millionen Euro eine „enorme Steigerung“ (schon binnen eines halben Jahres), eine „Riesensumme, die auf dem Spiel steht“ („Mesdames et messieurs, faites vos jeux“?) und sogar einen „Kostenschock“ eingesteht, dann aber mal eben so locker „doch lieber jetzt 20 Millionen Euro mehr in die Hand nehmen“ will, dann ist solch oberflächliche Placebo-Beruhigung der Öffentlichkeit sicher nur dem Umstand geschuldet, dass er offensichtlich noch nie_en_Haus selbst gebaut hat.

Die Krone journalistischer Unbedarftheit aber ist der unsägliche Versuch, die Husarenhaftigkeit der Mehrheitsentscheidung subkutan mit dem Hinweis auf den „Merkelschen Begriff der ‚Alternativlosigkeit’“ zu legitimieren. Welch grandioses Eigentor! Wer aber die Eröffnung des Rathaus-Zentrums vor 40 Jahren „einer längst vergangenen Epoche“ zurechnet, dem wird man auch nachsehen müssen, schon vergessen zu haben, dass – mit hervorragenden gesellschaftspolitischen Begründungen – das Wort „alternativlos“ das Unwort des Jahres 2010 war. Is’ aber auch schon wieder verdammp lang her …

Bleibt für mich zuallererst die Frage: Warum in aller Welt hat die MV angesichts der Größe des Projektes und der Komplexität der aktuellen gesellschaftlichen Situation, in die hinein es unter Hochdruck geplant wird, nicht an Stelle von Paul Nienhaus mit seiner gewohnt schlichten zwar-aber-Rhetorik einen ihrer Kompetenteren schreiben lassen? Wollte sich von denen, die noch einen Ruf zu verlieren haben, vielleicht keiner die Finger verbrennen? In der zweitgrößten Stadt des Münsterlandes hätte ein Projekt dieser Tragweite in Zeiten wie diesen nach meiner festen Überzeugung eine professionellere journalistische Bewertung verdient.

Werner Friedrich

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